1. Oktober 2023 / Aus aller Welt

Nobelpreise in komplizierten Zeiten

Misstrauen gegenüber Erkenntnissen der etablierten Wissenschaft ist in bestimmten Kreisen weit verbreitet. Mit teils gefährlichen Folgen. Kann der Nobelpreis ein Bollwerk dagegen sein?

Die Vergabe der Nobelpreise steht an.

Es gibt wenige Auszeichnungen, die mehr Prestige haben als die Nobelpreise. In den Wissenschaftskategorien werden meist Forscherinnen und Forscher geehrt, die sich über Jahrzehnte hinweg den Respekt ihrer Fachbereiche erarbeitet haben.

In der Gesellschaft hat dieser Respekt für die Wissenschaft in den vergangenen Jahren indes gelitten: Populistische Stimmen in Politik und Zivilgesellschaft stellen wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zur Klimakrise und zur Corona-Pandemie zunehmend offen infrage, ohne konkrete Gegenargumente zu liefern. Manche bedienen sich dabei bewusster Desinformation der Bevölkerung.

Das große Geheimnis

Umso wichtiger könnten in solchen Zeiten die Nobelpreise werden. Ihre diesjährigen Preisträger werden ab Montag in Stockholm und Oslo verkündet, angefangen mit den wissenschaftlichen Kategorien Medizin, Physik und Chemie. Gehen diese Preise diesmal an Erkenntnisse zu relativ aktuellen, bürgernahen Themen wie etwa der Entwicklung der Corona-Impfstoffe, dann könnte das auch das Vertrauen in wissenschaftliche Fakten stärken. Wer die Auszeichnungen erhält, das ist vorab stets ein großes Geheimnis.

«Anti-Wissenschaft-Populismus ist in der Tat zu einem politischen Mobilisierungswerkzeug geworden, allerdings nach meinem Eindruck eher themenbezogen», sagt der Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring von der Universität Mannheim. Die Themen müssten mit einer vermeintlichen Gängelung durch politische Eliten - «die da oben», wie es im Volksmund so oft heißt - verbunden werden, um so politische Resonanz zu erzeugen, sagt er.

«Was man beobachten kann, ist eine Polarisierung in der Bevölkerung, die durch populistische Politiker angestrebt, möglichst ausgebaut und kontinuierlich bedient wird», sagt Kohring. In den USA habe dies jedoch weitaus dramatischere Ausmaße erreicht als in Deutschland.

Falschinformationen als Bedrohung

Auch im Nobelpreis-Kosmos sind das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse und der Kampf gegen Desinformation seit Jahren ein Thema. «Falschinformationen beschädigen unser Vertrauen in die Wissenschaft und laufen Gefahr, eine der größten Bedrohungen für unsere heutige Gesellschaft zu werden», warnte die Nobelstiftung anlässlich eines Nobelpreisgipfels zum Thema «Wahrheit, Vertrauen und Hoffnung» in Washington Ende Mai. Sie lud damals Preisträger und Experten ein, um auszuloten, wie man diese Tendenzen bekämpfen kann.

«Wir sehen auf der ganzen Welt, dass es sehr systematische Bemühungen gibt, um die Wissenschaft zu untergraben, die Wahrheit zu untergraben und große Teile der sozialen Strukturen der Gesellschaft zu zerreißen», sagte der Exekutivdirektor der Nobelstiftung, Vidar Helgesen. «Wir haben also ein Problem. Die Welt hat ein Problem.»

Die Geophysikerin und Präsidentin der amerikanischen National Academy of Sciences, Marcia McNutt, warnte an Helgesens Seite: «Wenn wir auf die Auswirkungen von Fehl- und Desinformationen schauen, dann ist das nicht auf die Wissenschaft beschränkt. Wir sehen das in der Politik, bei der Gesundheit, wir sehen das in der gesamten Gesellschaft.» Später fügte sie hinzu: «Wissenschaft ist niemals komplett, sie ist niemals perfekt - aber sie ist das Beste, was wir haben.»

Bei den Bekanntgaben der diesjährigen Nobelpreisträger werden nun wieder führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt, um ihre außergewöhnlichen Entdeckungen zu ehren. Dabei geht es gemäß dem Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) darum, diejenigen auszuzeichnen, die der Menschheit mit ihren Erkenntnissen den größten Nutzen bereitet haben. Dotiert sind die Preise in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 930.000 Euro) pro Kategorie, einer Million mehr als im Vorjahr.

Epochale Leistungen

Ob sich die renommierten Auszeichnungen dabei als Vertrauensspender in die Wissenschaft erweisen können, da ist Kommunikationswissenschaftler Kohring eher skeptisch. Die Nobelpreise könnten durchaus eine Rolle dabei spielen, die Bedeutung der Wissenschaft hervorzuheben - schließlich ehrten sie epochale Leistungen, sagt er. Die Preisvergaben stellten aber ein «etwas abgehoben» wirkendes Ritual für diejenigen dar, die sowieso an die Wissenschaft glaubten. «Misstrauische Menschen werden das eh als selbstbekräftigendes Schulterklopfen im gegnerischen Lager wahrnehmen», sagt Kohring - mit anderen Worten: Wer nicht an die Wissenschaft glaube, den interessierten auch die Nobelpreise nicht.

Als vertane Chance betrachtet er es, dass der Medizin-Nobelpreis nicht schon in den vergangenen Jahren an die Entwickler der Corona-Impfstoffe gegangen ist, die damit schließlich unzählige Leben weltweit gerettet haben. Die Entwickler der mRNA-Impfstoffe zählen seit der Corona-Krise 2020 immer wieder zu den Topfavoriten auf den Preis, gingen bislang aber stets leer aus. Doch selbst wenn es diesmal dazu kommen sollte, sagt Kohring: «Die rigiden Corona-Leugner und Impfgegner wird man dadurch nicht zurückgewinnen.»


Bildnachweis: © Peter Kneffel/dpa/Pool/dpa
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